Veranstaltung: | BDKJ-Hauptausschuss Februar 2024 |
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Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Hauptausschuss |
Beschlossen am: | 24.02.2024 |
Eingereicht: | 24.02.2024, 15:04 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Gefahr der Einschränkung zivilgesellschaftlicher Beteiligung durch Bürger*innenräte
Beschlusstext
Jugendverbände sind Werkstätten der Demokratie. Dies ist besonders wertvoll,
wenn Organisationen, Parteien und Personen erstarken, die die demokratische
Grundordnung abschaffen wollen. Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit,
sondern diese muss immer wieder erkämpft werden. Demokratische Beteiligung sehen
wir dabei als enorm hohen Wert an sich. Daher ist es wichtig, über die Form der
demokratischen Beteiligung in Deutschland nachzudenken. Das Suchen und Finden
angemessener Formen ist dabei immer wieder auch eine Herausforderung.
Wir beobachten, dass die aktuelle Bundesregierung sowie der Bundestag zur
Beteiligung an politischen Meinungsbildungsprozessen und zur Beratung (der
Bundesministerien) Bürger*innenräte und andere Formate der Beteiligung von
(jungen) Menschen einrichtet. Diese werden in der Regel nach Bewerbung durch
Bürger*innen in zufälligen, aber diversitätswahrenden Verfahren zusammengesetzt
oder berufen. Die Aufgabe der Bürger*innenräte ist zumeist Empfehlungen an die
Bundesregierung zu formulieren. Die Bürger*innen sind in den Bürger*innenräten
als Einzelpersonen mit ihren Erfahrungen und Hintergründen persönlich Mitglied.
Die Zivilgesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland ist gut aufgestellt und
gewachsen. Zu verschiedensten Themen und Fachbereichen existieren Verbände,
Vereine und Organisationen. Diese sind Expert*innen für ihr jeweiliges Thema und
Fachgebiet. Sie bringen sich seit jeher in ihrer Vertretungsarbeit in politische
Prozesse ein, beraten die Bundesregierung und gestalten Staat, Politik und
Gesellschaft aktiv mit. Sie sind eine tragende Säule unserer Demokratie und
stehen für eine starke Zivilgesellschaft.
Im Gegensatz zu Bürger*innenräten sind Verbände und Organisationen aus der
Zivilgesellschaft selbstorganisiert entstanden und demokratisch legitimiert.
Grundsätzlich sind Formen der Bürger*innenbeteiligung an politischen Prozessen
zu begrüßen. Jedoch sehen wir eine Gefahr der Einschränkung der
Zivilgesellschaft, wenn staatliche Organe Bürger*innenräte einrichten. Sie
bestimmen dann , wer wie beteiligt wird, wie Bürger*innenbeteiligung auszusehen
hat und wie nicht. Zivilgesellschaftliche Räume werden eingeschränkt, wo der
Staat allein die Beteiligung bestimmt.
Weiterhin finden die zivilgesellschaftlich gewachsenen Organisationen in diesem
Formaten der Bürger*innenbeteiligung zumeist keine Berücksichtigung. Dabei haben
insbesondere die Jugendverbände nach § 12 Abs. 2 SGB VIII ein gesetzlich
verankertes Recht und den Auftrag, die Anliegen und Interessen junger Menschen
zu vertreten, was einzelne Mitglieder eines Bürger*innenrats oder der
Bürger*innenrat als Gesamtes nicht haben.
Weiterhin sind Bürger*innenräte durch die Besetzungsverfahren
willkürlich/zufällig zusammengesetzt. Die organisierte, verbandliche
Zivilgesellschaft vertritt hingegen demokratisch legitimierte Interessen. Aus
ihr gehen gewählte Interessenvertreter*innen hervor, die für mehrere tausend
Mitglieder sprechen. In Bürger*innenräten wird dies jedoch nicht berücksichtigt,
vielmehr gewinnen dort einzelne, ‚private‘ Meinungen an Gewicht. Dadurch wird
das Vertretungsrecht der Zivilgesellschaft gegenüber der Politik eingeschränkt.
Auch die Expert*innen und Positionierungen der Verbände, die sich seit vielen
Jahren mit den Fachthemen beschäftigen, fehlen. Die Regierung schafft sich – an
der organisierten Zivilgesellschaft vorbei – ihr eigenes Beratungsgremium. Dies
muss als als Einschränkung zivilgesellschaftlicher Räume markiert werden. Unsere
Demokratie braucht vielfältige Beteiligungsformen, die vor allem die
zivilgesellschaftlichen Strukturen berücksichtigt.
Wir sehen durch die Einrichtung von Bürger*innenräten neben dem grundsätzlichen
Mehrwert der Bürger*innenbeteiligung daher andererseits auch eine Gefährdung
demokratischer Beteiligungsstrukturen einer starken Zivilgesellschaft - auch vor
dem Hintergrund, dass der gesetzliche Vertretungsanspruch der Jugendverbände in
den Beteiligungsverfahren nicht berücksichtigt wird.
- die strukturierte Einbindung der Jugendverbände in die politische
Willensbildung und Beratung der Bundesregierung in besonderer
Berücksichtigung der Anzahl der Mitglieder und ihres gesetzlichen
Anspruchs,
- die Berücksichtigung der Stimme junger Menschen, die sich in
Jugendverbänden organisieren, in politischen Entscheidungen und
- eine Neubewertung und Umstrukturierung von Bürger*innenräten/-beteiligung
und den systematischen Einbezug der zivilgesellschaftlichen Organisationen
und Verbände in politische Beteiligungsprozesse.
- die maßgebliche Beteiligung von Jugendverbänden und dem Deutschen
Bundesjugendring bei der Neukonzipierung, Implementierung und Reflexion
von Jugendbeteiligungsprozessen und -formaten. Altersgrenzen für die
Besetzung dieser Prozesse und Formate müssen den Vertretungsstrukturen der
zivilgesellschaftlichen Organisationen gerecht werden und sind nicht
willkürlich durch die Bundesregierung oder den Bundestag festzulegen.