Veranstaltung: | BDKJ-Hauptversammlung 2024 |
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Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | HV |
Beschlossen am: | 03.05.2024 |
Basierend auf: | A8NEU3: Rechtsanspruch auf Förderung eines Freiwilligendienstes |
Rechtsanspruch auf Förderung eines Freiwilligendienstes
Beschlusstext
Freiwilligendienste im In- und Ausland sind eine besondere Form des
bürgerschaftlichen Engagements. Freiwilligendienste fördern das Einnehmen neuer
Perspektiven und die Fähigkeit, sich mit gegenteiligen Meinungen
auseinanderzusetzen und erhöhen die Sozialkompetenzen. Das Bewusstsein junger
Menschen für den Wert von Solidarität und gesellschaftlichem Zusammenhalt wird
geschärft. In den Einsatzstellen übernehmen Freiwillige Hilfstätigkeiten, die
Fachkräfte entlasten. Sie treiben Projekte voran, die im Alltag aufgrund
begrenzter Kapazitäten zurückgestellt werden würden. Gesellschaftlichen
Fragmentierungsprozessen wird entgegengewirkt, indem sich alle jungen Menschen
milieuübergreifend einbringen können. Konstitutives Element der Dienste ist die
Freiwilligkeit der Teilnehmer*innen. Denn nur diese motiviert zu weiterem
freiwilligen Engagement.
Die Freiwilligendienste sind aus zivilgesellschaftlichen, kirchlichen Strukturen
hervorgegangen und werden seit 1964 in gesetzlichen Strukturen geregelt. Die
Dienste werden als Bildungs- und Orientierungsjahr durchgeführt sowie
arbeitsmarktneutral und an den Interessen der Freiwilligen ausgerichtet
gestaltet. Der Bildungs- und Orientierungscharakter wird im Freiwilligendienst
durch hochwertige pädagogische Begleitung gewährleistet, um die
Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen. Als Zentralstelle für
Freiwiliigendienste setzen wir dieses pädagogische Selbstverständnis um und
fordern dies von den Einsatzstellen ein. Dabei ist für uns klar, dass
Freiwilligendienste kein arbeitsmarktpolitisches Instrument sind. Wir setzen uns
für eine angemessene pädagogische Förder- und Forderungspolitik ein. Freiwillige
sollen in ihren Interessen gefördert und gleichermaßen in der Arbeit gefordert
werden, statt undankbare Aufgaben zu erledigen. Ein Freiwilligendienst ist
vielmehr eine Chance, den Arbeitsalltag kennenzulernen und sich
weiterzuentwickeln. Dies geschieht unter Einhaltung der Arbeitsmarktneutralität
und gerahmt von qualitativ hochwertiger Bildungsarbeit.
Noch immer ist es ein Privileg, einen Freiwilligendienst leisten zu können.
Freiwillige erhalten für ihren Dienst kein Entgelt, sondern lediglich ein
Taschengeld, das nicht ausreicht, um Lebenshaltungskosten zu decken. Um den
Abbau von strukturellen, insbesondere sozioökonomischen Barrieren in den
Freiwilligendiensten voranzutreiben, bedarf es auch von staatlicher Seite
stärkerer Unterstützung. Ein weiteres Hemmnis zur Leistung eines
Freiwilligendienstes ist das Unwissen, wie und wo ein solcher Dienst geleistet
werden kann. Offensive Werbung und niedrigschwellige Informationen für ein
gesellschaftliches Engagement überwiegend junger Menschen in den
Freiwilligendiensten ist notwendig, werden zurzeit allerdings nicht
refinanziert. Gemeinsam mit einer entsprechenden Informationskampagne, einer
„Einladung der Gesellschaft“ zu einem Freiwilligendienst, könnte die Anzahl an
Freiwilligendienstleistenden pro Jahrgang mindestens verdoppelt werden. Nur so
wird ein freiwilliges „Recht auf Dienst“ zum konkreten Gegenentwurf zu einer
unsolidarischen „Pflicht zum Dienst“. Und nur so kann die Bundesregierung einen
tatsächlich „nachfragegerechten“ Ausbau und Stärkung der Freiwilligendienste
realisieren, wie sie ihn 2021 im Koalitionsvertrag vereinbart hat.
Ein Pflichtdienst widerspricht den elementaren Freiheits- und Grundrechten, die
der Vorstellung eines solidarischen Miteinanders der Generation zuwiderlaufen,
ist paternalisitisch und schränkt die Zukunftsperspektiven junger Menschen ein.
Weiter ist er mit der derzeitigen Fassung des Grundgesetzes unvereinbar, die
Vereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention ist mindestens
strittig. Ein Pflichtdienst wirkt im Gegensatz zum Freiwilligendienst
demotivierend und kann zu antriebslosem Absitzen der Dienstzeit führen, was
wiederum eine zusätzliche Belastung für die Einsatzstellen darstellt. Wer gegen
den eigenen Willen zu einem Dienst an der Gesellschaft gezwungen wird, ist für
den Rest seines Lebens eher der Überzeugung, nun genug getan zu haben, was sich
kontraproduktiv auf das Ehrenamt auswirkt. Wir haben die Sorge, dass sich die
Arbeitsumstände und pädagogische Begleitung durch einen Pflichtdienst deutlich
verschlechtern würden. Zudem überschreiten die geschätzten Kosten für einen
Pflichtdienst die geschätzten Kosten für einen Rechtsanspruch auf Förderung
eines jeden geschlossenen Freiwilligendienstvertrages um den Faktor fünf bis
acht.
Als Jugendverbände tragen wir den Beschluss der DBJR-Vollversammlung 2020
„Freiwilligendienste jetzt stärken!“[1] voller Überzeugung mit. Als
Zentralstelle für die Freiwilligendienste tragen wir die Positionen des
Bundesarbeitskreis FSJ von 2023 mit: Freiwilligendienste sind ein Gewinn hoch
drei: Für die Freiwilligen, für die Menschen in den Einsatzstellen und für die
(Welt-)Gesellschaft als Ganzes.[2]
Darüber hinaus fordern wir:
- Eine Abkehr von der politischen Diskussion um einen sozialen Pflichtdienst
und die Beibehaltung der Aussetzung der Wehrpflicht.
- Eine gesetzliche Garantie und ein entsprechendesRecht auf auskömmliche
Förderung einer jeden Vereinbarung, die zwischen Freiwilligen, Trägern und
Einsatzstellen zustande kommt. Aus jedem geschlossenen Vertrag für einen
erstmaligen Freiwilligendienst im In- oder Ausland muss ein Rechtsanspruch
auf ausreichende Förderung nach den bewährten Verfahren der einzelnen
Programme erwachsen. Die Abdeckung der Kosten durch Bundesmittel und
daraus resultierende Planungssicherheit würde zudem mehr Einsatzstellen
generieren.
- Die Einführung eines unverbindlichen Informationsschreibens des*der
Bundespräsident*in an alle Schulabgänger*innen mit Informationen und der
Einladung, sich bewusst für einen Freiwilligendienst zu entscheiden. Eine
Anpassung des Schreibens an regionale Begebenheiten kann erfolgen.
Begründung
Der Rechtsanspruch auf Förderung eines Freiwilligendienstes ist ein positives Gegennarrativ zur gesellschaftspolitischen Debatte um einen sozialen Pflichtdienst. Aus jugendpolitischer Sicht erscheint eine Positionierung des BDKJ gegen einen Pflichtdienst geboten und notwendig.